“Weeky, weeky! Get up, your shift will start in 10 Min!” – Eine rote Stirnlampe blendet um 01:50 Uhr nachts meine verschlafenen und verquollenen Augen. Ich weiß, es ist wieder vorbei mit dem angenehmen Gefühl, im eigenen Schlafsack einen kleinen Bereich Privatsphäre genießen zu dürfen.
Es ist nämlich so: Mein Rückzugsgebiet besteht nur in meinem Schlafsack. Und das nur für 3 Stunden. Eineinhalb Quadratmeter Rohrkoje, begrenzt auf 180 Minuten. Meine Koje wird nach mir sofort von einem anderen Crewmitglied benutzt werden. Keine Dinge des persönlichen Komforts bleiben an Ort und Stelle. Ich muss raus.
Die Stirnlampenlichtkegel meiner ebenfalls gerade geweckten Mitseglerinnen tanzen wie kleine rote Leuchtkäferfer durch den dunklen, schwankenden Innenraum des Schlafbereiches von Sisi.Sisi – der wunderschöne Oceanracer VO 65 des Austrian Ocean Racing Projects – befindet sich gerade mitten in der Biskaya. Und wir uns mit ihr auf einem 1050 Meilen-Nonstop-Schlag von Schevenningen/NL nach Cascai/Portugal. Was für ein Ritt! Meine Augen leuchteten auf, als ich vor ein paar Wochen hörte, ich solle dabei sein. Und nun ist es soweit.Schnell in die Thermounterwäsche geschlüpft, das Ölzeug übergezogen und die Stiefel übergestülpt und schon steh ich wieder dort, wohin ich vor einigen Jahren nur geträumt hätte: Am Steuer eines der schnellsten Segelboote dieser Erde.
Einer 65 Fuß langen, carbongefertigten VO 65. Diese Boote sind nur dafür konstruiert, Hochseeregatten zu bestreiten. Nur das ist ihr Daseinszweck: Schnell und kompromisslos über die Ozeane zu fliegen. Kein Komfortschnickschnack, keine Annehmlichkeiten. Nur Zweckmäßigkeit, gebaut für extreme Leichtigkeit und Geschwindigkeiten bis jenseits der 30-Knoten-Marke.Wir steuern Kurs 220 Grad durch die Dunkelheit, haben 13 Knoten vorlichen Wind und gleiten mit 16 Knoten durch die mäßig bewegte Wellenwelt der – an sich – gefürchteten Biskaya, die es mit uns allerdings sehr gut meint.
Wir sind also schneller als der Wind! Was, schneller als der Wind? Ja, tatsächlich – das ist möglich und liegt in der Tatsache begründet, dass der real vorherrschende und der durch die Fahrt entstehende Wind sich zu einem „scheinbaren“ Wind aufsummieren, der als treibende Kraft die Segel bläht.
Und dann tauchen wir in ein Spiel der Lichter ohne gleichen ein. Wie das? Die Luft ist klar hier draußen. So klar, wie sie früher wohl überall auf unserem Planeten war. Über uns spannt sich am Firmament ein Sternenhimmel, der mit unbeschreiblicher Strahlkraft Licht in die Dunkelheit der nächtlichen Stunde bringt. Hier fühlen wir, wie kaum anderswo möglich, die 3. Dimension unseres Universums. Wie bewegend …
Und schon startet das nächste Schauspiel: Seitlich des Bootes, dort wo sich Sisis Bugwellen schäumend brechen beginnt das Meer zu leuchten. Helles Grün-Gelb taucht auf und verschwindet überall dort, wo die mechanische Reizung kleinster Algen einen Mindestwert überschritten hat. In diesen Lebewesen wird dann das Protein Luziferin abgebaut (welch ein Name!) und die freiwerdende Energie in Form von Licht abgegeben. Voilá – schon leuchtet das Meer.Da fällt mir ein: Wie muss jetzt unser Kielwasser aussehen? Ich wende meinen Blick nach hinten und traue meinen Augen kaum. Das schäumende Kielwasser unserer „Sisi“ strahlt geradezu in ebenso hellen und flüchtigen Phosphor- und Grüntönen. Wir ziehen eine hunderte Meter lange Leuchtspur in die dunklen Wassermassen des Atlantiks und fliegen auf einem Teppich aus Lichtwellen nach Süden. Boahh … da bleiben keine Worte.
Das ist Nahrung für die Seele …
Das ist eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Motivation für das Seglerleben …
Euer Clemens