Vom Versuch, neu erworbenes, aber noch theoretisches Wissen in die Segelpraxis umzusetzen – auf einer Überführungsfahrt von Hamburg nach Bremen.
Wenn ich schon nicht auf den Solent kann, oder gar auf die Kanaren, zum Segeln, dann doch wenigstens auf die Außenelbe. Das klingt weniger glamourös, ist es auch, dafür aber corona-konform. Und irgendwie muss ja auch „Selma“, mein neuer Vierteltonner, aus seinem alten Heimathafen auf der Elbe bei Hamburg zu mir hinüber in die Weser kommen, nach Bremen.
Das ist die Gelegenheit, zu testen, ob die (ja auch von mir) viel gepriesene RYA-Ausbildung wirklich so praxisnah ist – und was davon hängen geblieben ist, seit mir im Spätherbst von Clemens attestiert wurde, ich sei nun, zumindest theoretisch, reif für den RYA Offshore. Ähnliches gilt für diese Funkerei: Um „Selma“ jedenfalls mit einer Handquatsche ausrüsten zu dürfen, der Sicherheit wegen, musste ich mir im Corona-Winter dann ja auch schnell noch das „Short Range Certificate“ (SRC) verdienen. Hab ich auch, war aber mit mehr Lernerei verbunden als gedacht, erhofft. Und als man dann den Schein in der Hand hatte, war auch schon klar, dass die Praxis im Grunde ganz anders sein würde. Der Funkverkehr auf der Außenelbe wird das später bestätigen.
Als erstes braucht es einen „Passage Plan“. Mit Kursberechnungen und Stromdreiecken musste ich mich ja nicht lange aufhalten, auf einem Fluss reichen da erst einmal zwei Ufer und bunte Fahrwassertonnen, der Rest ergibt sich dann je nach Windrichtung quasi von alleine. Doch ohne einen strengen Blick in den Tidenkalender geht erst einmal gar nichts: Niemand will elbabwärts fahren, ohne die Tide auf seiner Seite zu haben, wenn er nicht muss. Komplizierter wird es, wenn man dann auch noch die Windrichtung mit einbezieht: Steht der Wind gegen den Strom, wird die Elbe nämlich etwas ungastlich und ihre Welle kurz, aber steil.
Erste Frage: Wie viele Etappen braucht man von Wedel bei Hamburg bis nach Bremen, wenn man ganz normal außen herum segelt, an Cuxhaven und Bremerhaven vorbei (Ja, es gibt da auch noch einen kleinen Kanal. Aber will man das? Zumal, man eh nur einen Flautenschieber hat? Eben!). Wedel-Cuxhaven-Bremerhaven-Bremen war mein allererster Gedanke, also drei Etappen. Hm.
Andererseits: Guckt man sich die neu erworbene Seekarte dann mal genauer an – der Passage Plan, Sie wissen schon – sind das vielleicht 45 Seemeilen, für die man mit ablaufendem Wasser sechs Stunden Zeit hat. Kein so schlaue Idee, es sei denn, man versucht es zunächst (in diesem Falle frühmorgens) gegen die Tide – oder halt ganz am Ende, wenn Cuxhaven eigentlich schon nahe ist. Hinzu kommt, dass man zu jener Zeit der Pandemie in Cuxhaven auch bei einer Überführung gar nicht übernachten durfte, sehr wohl aber in Brunsbüttel, weil das in Schleswig-Holstein liegt. Also geht es nach einer kalten Nacht an Bord elbabwärts und durch den Nord-Ostsee-Kanal (NOK) nach Brunsbüttel, mit Glückstadt als Plan B, und tags darauf dann in einer kurzen Etappe rüber nach Cuxhaven. Otterndorf scheidet aus, obwohl es dort schöner ist; aber da komme ich mit meinem Kurzkieler nur rund das Hochwasser rein und raus. Der Plan geht auf, schon am Nachmittag sitzen wir im Eiscafé in Brunsbüttel in der Sonne, die gerade aufgeht, als wir am nächsten Morgen wieder zur Schleuse motoren.
Motoren wollen. Denn dem Außenborder ist noch kalt, weswegen er sich wieder schlafen legt, als wir im Fahrwasser vor der Schleuse angekommen sind, zwischen drei herannahenden Pötten. Plan B muss her: Gemeinsam reißen wir schnell das Groß hoch, um wieder manovrierfähig zu werden. Ich zerre hektisch am Außenborder, während der Kollege in aller Ruhe vor der Schleuseneinfahrt des NOK kreuzt, deren Ampel zum Glück noch auf Rot steht. Am Ende geht Plan B auf. Hier beweist sich die Gelassenheit, in diesem Falle die meines Mitseglers Matze Beilken. Aber der ist halt auch schon zehn Mal über Atlantik gefahren, zum Beispiel 1997 als erster Deutscher in einem Mini 6.50 beim MiniTransat, oder mit Boris Hermann, als noch keiner den kannte.
Die Königsetappe ist natürlich die von Cuxhaven nach Bremerhaven. Und auch hier ist vor allem ein guter Passage Plan gefragt. Damit man mit dem ablaufenden Wasser jedenfalls noch Neuwerk, Scharhörn und das dazugehörige Riff passiert und mit dem auflaufenden Wasser dann den Leuchtturm Alte Weser, hinein in die Weser. Einen Plan B gibt es hier nicht, da bliebe nur ankern. Gegen 0500 UTC verlassen wir bei Morgensonne den Hafen des Segelvereinigung Cuxhaven, der sich mit seiner eher schmalen Einfahrt vor allem beim Ankommen als tückisch erweist: der Stromversatz beim Ansteuern ist riesig, und all die Frachter hier sind es auch. Solange man deren Brücke sehen kann, hab ich gelernt, können die einen von dort meist auch sehen. AIS habe ich keines.
Doch bei nur einem Beaufort zeigt die neue Logge anfangs oft null Fahrt durchs Wasser, nur die Gezeiten schieben uns voran. Das Motörchen muss helfen, doch an Benzin haben wir gespart, und allebeide mit mehr Wind kalkuliert. Das wird knapp, am Ende. Ein Stressfaktor. Und wir wollen doch segeln, nicht tuckern!
Der Wind brist auf zwei bis drei Beaufort auf, „Selma“ läuft schön durchs Wasser, die Dünung ist lang, aber flach, also angenehmer als die kurze steile Welle auf der Elbe. Doch gegen 1445 UTC wird die Tide kippen, der Gedanke an Ankern kommt notgedrungen wieder auf. Eine Tide abwarten? Wo? Hundebalje vielleicht? Puh. Weil das Schiff aber gerade noch mit bis zu sieben Knoten durch die Nordsee fährt, beschließen wir, das hier nun durchzuziehen. Nur: Wird das Benzin reichen, wenn der Wind nicht gegen den Strom reicht? Wir fahren schließlich mit rund 2,5 Knoten über Grund, bei 5,5 Knoten durchs Wasser, gegenan. Erst gegen 1600 UTC passieren wir das Containerterminal in Bremerhaven, und von da ist es noch ein ganzes Stück bis in die Stadt.
Weil zudem die neumodische Navi-Technik mehr Strom aus dem Tablet saugt als erhofft, erweist sich die Stärke der Papierkarte. Und auch die des neu angeschafften Fernglases mit Kompass, von dem ich zuerst dachte, das ist vielleicht nur so eine Spielerei, die man als neuer Bootsbesitzer eben gerne haben will. Der Weg in die Weser, immerhin, ist ausgiebig betonnt und leuchtbefeuert – wohl dem, der gelernt hat, was einem all diese Seezeichen bei Tag und Nacht eigentlich sagen wollen. Dann aber findet sich der Weg im Grunde leichter als gedacht. Und dann passt auch das Bild auf dem Wasser auch ganz gut mit dem auf der der Karte zusammen.
Als wir nach rund 60 Seemeilen in Bremerhaven durch die Schleuse fahren und schließlich in einem kleinen Vereinshafen anlegen, mit dem letzten Schluck Benzin aus dem Fünf-Liter-Kanister, ist es sieben, oder halb acht, Ortszeit. Auf dem weiteren Weg nach Bremen werden wir dann übrigens nochmal eine weiteren Zwischenstopp machen, in Brake an der Unterweser; schon wieder lässt uns der Wind im Stich, dafür aber regnet es und man erinnert sich, was man im Herbst über Meteorologie und Wolken gelernt hat, und was das alles mit dem Wind macht. Dafür kreuzen wir auf der Schlussetappe schließlich bei 4-5 Beaufort gegenan zum Ziel.
Fazit: Der Theorie-Kurs war wirklich sehr praxisorientiert. Für die Umsetzung der Cadet-Regel und der Berechnung von Secondary Ports muss ich aber wohl doch nochmal auf den Solent.
Hallo Jan,
ein schöner Beitrag, den ich sehr gerne gelesen habe.
Was würdest du denn beim nächsten mal anders machen? Und was würdest du genau so wieder tun?
Vielleicht magst du ja, wie es viele Yachtmaster und auch andere Skipper tun, einen weiteren Beitrag als debriefing zu deinem Törn schreiben?
Ich würde mich sehr freuen mehr von Dir zu lesen.
liebe Grüße,
Michael
Hallo Michael,
vielen Dank für das positive Feedback! Das meiste würde ich in der Tat wieder so machen – ganz sicher aber hätte ich dann mehr Benzin mit an Bord. Und natürlich wäre es nie wieder derselbe Törn: Beim nächsten Mal wäre ich ja schon gelassener. Hoffe ich.
Ansonsten: Bestimmt kannst Du hier wieder mal was von mir lesen – die Ausbildung geht ja weiter!
Viele Grüße
Jan