Gedanken eines Trainers am Ende eines langen Ausbildungstages vor La Graciosa, nördlich von Lanzarote
Nun sind wir wieder am Steg, unsere Yacht schaukelt ein wenig aber gleichmäßig in der Dünung. Leichter Abendwind kühlt die sonnenerwärmte und verschwitze Haut. Ein wenig erschöpft nehme ich ein Glas kühlen Weißweines in die Hand, setz mich auf die Bank und lass die letzten Ereignisse revue passieren. In meinem Kopf verschmelzen verschiedene Erlebnisse der vergangenen 20 Stunden – die einen lustig, die anderen intensiv, die anderen sehr lehrreich – zu einer Melange an diffuser, aber glücklicher Gefühlslage. Zufriedenheit, Dankbarkeit und Ruhe machen sich in in mir breit. Und Hunger! Wo nochmal ist das nächste Fischrestaurant?
Der letzte Schlag auf die vorgelagerte Insel war von frühem Start in Dunkelheit, mittleren bis starken Winden und zuletzt einer Flaute geprägt. Vielem also, was ein gewöhnlicher Skippertag zu bieten hat. Die Gesichter von Markus und Silvia (die in Wirklichkeit anders heißen), die heute als „Skipper of the day“ für Routenplanung, Besegelung und Crewmanagement verantwortlich waren, leuchten vor Erfüllung. Die Wangen sind noch gerötet, die Augen strahlen. Die beiden diskutieren nach einem anstrengenden Tag sehr engagiert über eventuelle Fehlentscheidungen, gute Entscheidungen, Beweggründe und besprechen eventuelles Verbesserungspotenzial miteinander. „Wie war die Passage-Planung, wie gut die Segelmanöver, wie sind wir auf die verschiedenen Befindlichkeiten der Mitsegler*innen eingegangen, wie waren das Ab- und Anlegemanöver? Was hätten wir routinierter machen können? Wie war der Funkverkehr mit der Coastguard und dem Hafenmeister?“
Fragend schauen sie auch mich als Trainier und Letztverantwortlichen an. Ich winke ab und fordere zum realistischen Selbstfeedback auf. Ihre Aufgabe war klar, ihrem Niveau angepasst und trotzdem fordernd. Vor allem der Umgang mit Böen bis 7 Bft, Latten-Groß und zwei noch unerfahrenen Crewmitgliedern war nicht immer von vornherein easy. Gemeinsam entwickelten sie aber Strategien und Möglichkeiten, alles zu meistern. Besonders stolz war das Skipperteam auf die Variante „Beiliegen“ bei recht hohen Wellen und Starkwind, um der Crew etwas an Ruhe zu gönnen und mir die Zeit und Stabilität im Boot, um ein bisschen in der Küche zu zaubern. Die Mägen forderten nämlich bereits ihr gutes Recht ein. Gut fanden die beiden auch, dass der Boom-Preventer rechtzeitig vorbereitet und dann auch bei vorlichem Wind und Welle von steuerbord achtern gesetzt wurde. Gleichzeitig waren die beiden auch sehr selbstkritisch, weil der Moment des Reffens, auf Vorwindkursen etwas tricky, fast übersehen wurde und sie dann auch dankbar meine Führung durch das Manöver in Anspruch nahmen.
Wie unglaublich doch der Unterschied war, meinte Silvia: Eben segelten wir noch vergleichsweise ruhig dahin: mit dem Wind, der scheinbare Wind lag bei etwa 12 – 15 Knoten. Dann drehten wir das Boot zurück in die Brise, den Bug gegen die Welle und die Welt ändertet sich schlagartig. Das Boot stampfte, die Segel schlugen, der Lärmpegel glich dem eines mittleren Gewitters. Wie gut, dass dann die Segelfläche verringert, das Boot wieder auf Vorwindkurs gebracht und die Geschwindigkeit angepasst wurde. Alle konnten dabei viel lernen: Zum Beispiel, wie wichtig der richtige Moment ist, wie unausweichlich die Lautstärke zunimmt und deswegen die Kommunikation auf auf ein knackiges, stimmstarkes und klares Minimum reduziert werden muss. Oder, wie gelungen es war, die Mitseglerinnen vorher mit ihren Lifebelts an den entsprechenden Stellen einzupicken. Oder, wie gut es war, solche Situationen vorher nicht nur besprochen, sondern im Training auch geübt zu haben. Dann glitten wir auf der Welle reitend sehr kontrolliert unserem Ziel entgegen.
Am Horizont sahen wir unsere Trauminsel schon lange. Aber – das sollte täuschen. Noch einige Stunden lagen zwischen dem ersten In Sicht Kommen und dem Erreichen dieses Zieles. Die letzte Stunde wurde dann auf Anweisung der „Skipper of the day“ unter Motor zurückgelegt. Wie freuten sich die beiden, als sie die anderen, noch unerfahrenen Crewmitglieder klar durch das Manöver des Segelbergens führen konnten. Dabei stellten sie doch nicht nur ihre Segelskills, sondern auch ein gerüttelt Maß an Führungsqualitäten unter Beweis.
Alle Anordnungen kamen klar, verständlich und an die Crew angepasst. Jeder wusste in diesen paar Minuten, was zu tun sein würde. Silvia und Markus waren etwas streng und doch realistisch mit ihrer Selbskritik. Für mich als Trainer kam dann eher die Aufgabe, das Gelungene zu unterstreichen, die Qualitäten hervozuben und das Selbstvertrauen zu stärken zu. Ich durfte der good guy sein.
Ist mir auch angenehmer. Wir stoßen auf einen erfüllenden Segeltag an, sind dankbar für viele persönliche Gespräche am Schiff und glücklich über das Erreichen unseres gemeinsamen Zieles – La Graciosa. Und jetzt: Kopfüber ins Wasser und dann nichts wie hin ins Restaurant. Die Pimientos und Knoblauchgarnelen warten schon.
Ich glaub, mein Job ist einer der besten dieser Welt!
Herzlich,
Euer Clemens