Nach Wochen, nein: Monaten meines einsamen Selbststudiums steht nun die erste Standortbestimmung an. Auf dem ersten von zwei Yachtmaster Theory Wochenenden. Kann ich da nun mithalten?
In Österreich nennen sie das wohl ein Kaiserwetter. Links wie rechts des Örtchen Stams erhebt sich die imposante, um nicht zu sagen: majestätische Tiroler Bergwelt, während über den Türmen der überaus barocken, noch frisch sanierten Klosterkirche des Stift Stams an diesem Morgen leuchtend blau der Himmels strahlt. Wir lassen die schon im 13. Jahrhundert gegründete Zisterzienserabtei aber weitgehend an Steuerbord liegen und machen uns auf dem Weg in den Biologie-Saal eines heute hier untergebrachten Gymnasiums. Es ist Clemens Stechers einstige Wirkungsstätte, in einem früheren Berufsleben war das. Ja, hier kann man Segeln lernen. Und Yachtmaster werden – theoretisch jedenfalls.
Drei Handvoll Segler und eine Seglerin haben sich an diesem Wochenende im September hier zusammengefunden, und fast alle bringen sie viel Segel- und Lebenserfahrung mit. Einer ist mit seinem Boot jüngst den Kaledonischen Kanal hintergefahren, einhand, durch fast 30 Schleusen, ein anderer lässt sich in Polen gerade einen Performance-Cruiser nach seinen eigenen Wünschen bauen, gut 15 Meter lang, mit viel Carbon und Kevlar, wieder ein anderer hat ein Boot vor Malle, aber auch ein junger Regattasegler vom Bodensee nebst Vater ist dabei, oder ein Feuerwehrmann aus Wien, der mit seiner Sunbeam 26 das nächste Silverrudder mitfahren will, eine Einhand-Regatta, die rund um Fünen führt. Und ein tapferer Neuling.
Sie alle, wir alle wollen RYA Yachtmaster werden, „Coastal Skipper“ vielleicht, oder eben gleich in der berühmten „Offshore“-Variante. Und also an diesem Wochenende lernen, wie man analog navigiert, ohne Plotter und all die anderen technischen, uns oft unentbehrlich erscheinenden Helferlein auf unseren Schiffen. In sechs Wochen treffen wir uns wieder, genau hier, an diesem Ort. Dann wird Prüfung sein. Eine neue „Standortbestimmung“, wie Clemens Stecher das liebevoll nennt.
Er ist einer, der geduldig erklärt, gern auch wieder und wieder, ohne dass man dabei ein schlechtes Gefühl haben müsste, weil man vielleicht beim Strahlensatz, mit Hilfe dessen wir die Höhe der Gezeiten an allerlei Secondary Ports errechnen, noch auf das falsche Ergebnis kam. Er erklärt es uns eben einfach nochmal. Und segelenglisch lernen wir nebenbei.
Es geht um Missweisungen und Kursverwandlungen, um Tidendiamanten und Kompassrosen, um Strömungsatlanten und Standardhäfen, um Spring- und Nipptiden. Oder um die Frage, wie wir feststellen, wann wir überhaupt wohin segeln können und wir wir auch ohne das neumodische GPS wissen können, wo wir wohl gerade sind. Er verpackt alles in kleine Häppchen und handliche Formeln, die am Ende alles recht plausibel erscheinen lassen. WD = CD + HoT zum Beispiel. Alles klar, oder? Oder, ganz wichtig, die CadeT-Regel, die all die Kursbeschickungsumrechnungen, die einem gerade im deutschen Ausbildungssystem ja etwas kompliziert vorkommen, beinahe unkompliziert erscheinen lassen. Beinahe.
Zwischendurch erzählt er dann immer wieder aus dem Solent – weil: wer hier zurecht kommt, kommt auch überall anders zurecht. Auch von jener Trainingscrew aus der Schweiz, die vor Cowes ihr Ausbildungsschiff versenkt hat, weil die Strömung an der Fahrwassertonne viel zu stark war, zu spät erkannt wurde. Oder davon, wie man seine praktische Prüfung doch noch bestehen kann, obwohl man seine Yacht, ob der fehlerhaften Handhabung besagter Formel, kurz vor dem Hafen gerade auf Grund gesetzt hat.
Abends sitzen wir dann noch lange zusammen, bis weit in die Dunkelheit und irgendwann bestellt er dann noch ein Flasche Oban für alle. Sein Lieblingswhisky, ein maritimer Schotte, nicht zu rauchig, mit leicht süßem Unterton.
Und, kann ich nun mithalten? Ohne alle die Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen, nein: abgearbeitet habe, sicher nicht. Und ich gehöre ja auch nicht zu jenen hier, die das irgendwann damals, für einen deutschen oder österreichischen Schein, schon mal gelernt haben. Trotzdem kommt mir das meiste nun bekannt vor. Aber, ja, doch: der Bammel, er bleibt. Werde ich das dann am Ende, also: in sechs Wochen, auch alles wieder erinnern, richtig bedenken, korrekt berechnen und sauber abtragen? Und auch wissen, welche Tonne wie heißt, wie beleuchtet wird und wie man „Dir.WRG & 2 F.R (vert.)“ im fiktiven – Portsmouth aber sehr ähnlichen – Port Fraser korrekt in ganze Wörter übersetzt?
Morgen kommen die Übungsaufgaben. Der Countdown läuft. Er habe jedenfalls in den kommenden drei Wochen viel Zeit, noch Fragen zu beantworten, sagt Clemens am Schluss.
Würdiger das Ambiente inmitten der Tiroler Berge nicht hätte sein können. Hat eindrucksvoll gezeigt, dass alle Theorie nicht grau sein muss…
Da wünsche ich weiterhin viel Durchhaltevermögen! Irgendwie schon lustig: Segeltheorie weit weg vom Meer in Stams in Tirol.